Großmama

für Maria Neuwirth, Großmutter von 3 Enkelkindern, Mutter von 4 Kindern, Ehefrau, Schwester, Tochter

geboren und aufgewachsen im Waldviertel, gelebt und gestorben in Wien

Meiner Großmutter habe ich aus Granada einen wunderschön gefertigten Wandschmuck mitgebracht. Anfang des Sommers 2000 habe ich sie dann besucht und ihr das Geschenk mitgebracht. Ich hatte sie einige Zeit nicht besucht, aber sie war mir nicht böse. Ich erzählte ihr von meinen Reisen und sie erzählte mir alte Geschichten, die sie mir schon oft erzählt hatte, aber ich wusste, nun ist sie schon alt, und ließ sie erzählen. Sie tat mir ein bißchen leid, ich war noch so jung und habe nicht verstanden wie kostbar die Zeit ist und wie wichtig die alten Geschichten.

 

Wir saßen nebeneinander am Sofa. Sie war alt geworden und dünner, als ich es in Erinnerung hatte. Und sie war kleiner geworden. Meine liebe Oma schrumpfte. Als sie merkte, dass ich nun bald gehen würde, hat sie ihre alten Geschichten unterbrochen und hat mich plötzlich ganz klar angesehen. Ich wusste in diesem Moment ist sie genauso wie ich im Hier und Jetzt wie ich, sie sah mich an und ich wusste das ist nun keine Geschichte, sie will mir etwas Wichtiges sagen.

 

Und sie hat mich angesehen und gesagt: " Martha, manchmal tut mir meine Lunge so weh, ich kann dann nicht atmen und wenn ich nicht atmen kann, dann muss ich sterben." Ich habe sie entsetzt angesehen und gesagt: "Nein Oma, du stirbst nicht." Dann bin ich aufgestanden und sie ist aufgestanden. "Ich habe dich lieb Oma, ich hab dich sehr, sehr lieb." Und ich habe sie festgehalten und sie hat mich festgehalten. "Du stirbst nicht Oma, ich hab dich lieb."

 

Und dann hat sie mich angesehen. Ich habe sie ganz intensiv wahrgenommen, meine Oma. Meine liebe Oma.

 

Dann habe ich mich verabschiedet. Und als ich in der Straßenbahn gesessen bin, hatte ich plötzlich ein ganz komisches Gefühl. Ich war sehr traurig, aber gleichzeitig war ich glücklich. Die Sonne hat durch die Fensterscheiben gestrahlt und ich wusste, als ob es mir jemand in diesem Augenblick sagen würde, "Martha, das Leben ist wunderschön. Sei froh und glücklich am Leben zu sein. Spüre das Leben, spüre die Traurigkeit, sie geht wieder vorbei, spüre dich und lebe!" Ich habe das Gefühl nicht verstanden, ich habe aber die Freude in meinem Herzen gespürt trotz der Traurigkeit.

 

3 Wochen später ist sie gestorben. Ich habe sie nie mehr wieder gesehen. Meine liebe Oma. Man hat uns "Kindern" nicht gesagt, dass sie plötzlich schwer krank wurde, wir hätten sie erst besuchen sollen wenn es ihr wieder besser ging.

 

Aber ich habe sie noch dieses letzte Mal gesehen und sie hat mir wohl das schönste Geschenk gemacht, das ein Mensch einem anderen machen kann: das Bewusstsein, dass mein Leben kostbar ist, dass auch die Traurigkeit und der Tod durch die Kraft der Liebe überwunden werden kann.

 

Und ich weiß, dass sie noch immer bei mir ist und mich beschützt, weil ihre Person, ihre unglaubliche Kraft und ihre Stärke, ihr Mut und ihre Ehrlichkeit, all das, was sie mich gelehrt hat und was sie für mich als Mensch war und ist nicht verloren gegangen ist mit ihrem Tod.

 

Martha's Wortgarten